Das weiße Blatt Papier
„Hey, warum hast Du schon lange keine Rezension mehr auf verUNsicherung.de veröffentlicht?“
Kritik, so sagt die eine Hälfte der Künstler, ist hilfreich, falls sie konstruktiv ist, um zu reflektieren, um sich zu verbessern. Für die andere Hälfte ist Kritik einseitig, destruktiv oder gar bösartig. Und was sagen die Kritiker über sich selbst und ihre Profession? Der Autor dieser Zeilen jedenfalls, der in der Rolle des Hobby-Kritikers und Bloggers seit über zwanzig Jahren die EAV und das Weltgeschehen auf dieser Website begleitet, stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit seines Tuns. Ich stelle mir diese Frage.
Die EAV ist nicht nur eine Band, ein Projekt. Sie ist auch nicht nur das Ergebnis harter kreativer Arbeit. Sie ist der Lebensunterhalt von Menschen, sie ist ein Wirtschaftsunternehmen, sie ist das „Baby“ von Menschen. Und was bin ich? Ich bin ein Jugendlicher, der im Kinderzimmer den faszinierend klingenden Klängen der beiden Rillen von Seite A und B von „Neppomuk’s Rache“ tagtäglich lauschte und jedes Jahr älter wurde, aber nicht klüger, höchstens gebildeter. Und was treibt mich dazu, die Musik nicht nur zu analysieren, sondern mir meine Meinung zu bilden und diese zu veröffentlichen? Ist es Geltungsdrang? Oder stimmt es, dass die größten Kritiker der Elche selber welche sind, wie F. W. Bernstein mal sagte? Also bin ich eigentlich ein gescheiterter Musiker, dem der Erfolg verwehrt wurde und deshalb meint, über Rezensionen etwas von dem Glanz der Arbeit anderer abbekommen zu können? Nein, in diesem Punkt bin ich unverdächtig.
Vielleicht liegt die Antwort in meinem ewig währenden Drang, die Dinge, die die Welt umtreiben, zu verstehen. Ich bin ein Analytiker, jemand, der ganz genau hinschaut. Seit der ersten EAV-Platte im Kinderzimmer treibe ich mich immer mehr in den Kosmos der EAV hinein. Immer wenn ich denke, jetzt alles ergründet zu haben, tut sich wieder eine neue Galaxie auf. Eine nie endende Suche. Vielleicht ist es sogar in Wahrheit die ewige Suche nach dem Sinn, warum ich das tue. Was für ein Spaß!
Doch Analyse, das weiß man nicht erst seit Sigmund Freud, kann weh tun. Sich selbst erkennen, das kann schmerzen. Wer will sich schon selbst kennenlernen, wenn man sich eh schon den ganzen Tag mit der eigenen Wenigkeit beschäftigen muss? Ein guter Kritiker muss den Spiegel vorhalten, so sagt der Volksmund. Eine gute Rezension hilft also dem Künstler, sich selbst zu erkennen? Ein ziemlich schmerzhaftes Unterfangen, das für den Spiegelhalter so enden kann wie dem sprichwörtliche Überbringer der schlechten Nachricht.
Die Schärfe der Kritik hängt immer von der Rezeption ab. Eine Rezension oder ein Kommentar kann ein Multiplikator sein, wenn sie einen Nerv trifft. Nur ein Satz reicht, ob beabsichtigt oder nicht, um den Kern zu treffen. Und es liegt beim Leser, ob er eine Erkenntnis daraus gewinnt, sich gar selbst erkennt oder im schlechten Fall verletzt ist.
Ja, das sind alles hochtrabende Worte aus dem abstrakten Teil meines Gehirns. Aber sie basieren auf konkreten Erfahrungen. In der Vergangenheit habe ich schon ein paar Mal vollkommen unbeabsichtigt mit Texten von mir (und es waren nichtmal Rezensionen) eine gewaltige Gegenreaktion ausgelöst. Man könnte auch sagen: Die Personen haben sich selbst erkannt, sind vor Schreck erstarrt und wollen seitdem nichts mehr mit mir zu tun haben oder haben mich in eine Schublade gesteckt, in der ich nicht zu Hause sein möchte. Worte statt Taten ist bei mir wohl die Losung. Ich kann offenbar mit Worten mehr bewegen als so mancher Politiker. Ich kann wahrscheinlich keine Kriege mit meinen Texten verhindern, aber ganz objektiv gesehen müssten für mein Geschreibsel Exportbeschränkungen verhängt werden. Was wäre das für eine fantastische Superkraft, wenn ich diese Fähigkeit jemals bewusst einsetzen könnte für den Weltfrieden oder zumindest mehr Windräder in Bayern?
Man verzeihe mir, dass ich (wie eben hier gerade) die Dinge immer etwas humorvoller darstelle, als sie vielleicht für Betroffene (inklusive mir) im Moment des Geschehens sind. Aber so bin ich nunmal. Und ich bin halt auch nicht nur ein Analytiker, sondern auch leidenschaftlich bei der Sache. Humor und Emotion sind für mich wichtige Stilmittel meiner Texte.
Auch wenn ich harmoniebedürftig und ausgleichend bin, freue ich mich, wenn ich im geschriebenen Wort die Leidenschaft meiner Argumente und Sichtweisen rüberbringen kann. Worte sind nicht trocken, sie sind in Formation gebrachte Emotionen. Und so ergibt sich dann auch mal, dass ich über das Ziel hinausschieße, wie man so schön sagt. Ein Satz, der als Kalenderspruch metaphorisch vielleicht Sinn ergibt, aber im Wortsinn Blödsinn ist, da die Texte keine über den Inhalt hinausgehenden Ziele haben. Das einzige Ziel meiner Texte ist: Menschen informieren, unterhalten und an meiner Selbsterkenntnis arbeiten. Meine Texte mit ungewollt fataler Wirkung rangierten zwischen leichtsinnig und komplett bescheuert und unangebracht. Aber sie hatten einen katharsischen Effekt für mich, der durch keine Palette Schokolade ersetzbar ist. Sie haben so gut getan!
Ich bin ein Mensch, der nicht zurückschaut, um die eigenen Entscheidungen im Nachhinein in Frage zu stellen. „Was wäre wenn?“ ist für mich kein erkenntnisreiches Gedankenspiel. Ich bereue nichts, ich weine nichts nach. Alle markanten Ereignisse meiner Vergangenheit hatten im Nachhinein, auch wenn sie kurzfristig negative Folgen hatten, gute Geschehnisse zur Folge. Ich bin das Produkt meiner vergangenen Ereignisse. Warum sollte ich die Grundlage meiner Existenz ändern wollen? Die Zukunft bringt schon genug Veränderung. Und die kann ich so gestalten, wie ich es mir vorstelle, ganz im Gegensatz zur Vergangenheit. Daraus folgt zwangsläufig, dass auch die textlich ausgelösten Eruptionen alle zu etwas Guten geführt haben. Also alles gut? Nein, denn wenn es mir durch meine ungehemmte Schreiberei langfristig gut geht, sollen nicht andere darunter leiden.
Und nun kommen wir zum Kern des Problems: Wenn ich einen Text schreibe, dann kann ich gar nicht anders, als ehrlich zu sein. Wenn ich etwas gut finde, schreibe ich das. Wenn ich etwas schlecht finde, schreibe ich das. Ich bin der am wenigsten talentierte PR-Schreiber aller Zeiten. Ich bin in Wort und Schrift immer direkt und sehe Vor- und Nachteile an allem. Und das möchte ich auch zum Ausdruck bringen. Und all das ist garniert mit meiner (aktuellen) Stimmung, meiner Emotion. Die Frage, die sich mir mittlerweile stellt, ist: Was ist, wenn mir beispielsweie für ein Album wie das aktuelle Weihnachtsalbum der EAV unzählige positive Punkte einfallen, aber auch ein paar Kritikpunkte? Was ist, wenn ich unfair bin, weil ich gerade schlechte Laune habe? Es kann sein, dass eine überwiegend überschwänglich positive Kritik durch einen einzigen Satz der Kritik, der beim Leser falsch ankommt, ein ungewolltes Ungleichgewicht zwischen Kritik und Lob bekommt. Und es kann sein, dass genau dieser Satz für irgendjemanden als beleidigend oder verletzend wahrgenommen wird. Der Leser hat die Hoheit darüber, was er in den Text interpretiert, nicht der Autor.
Nichts liegt mir ferner, als jemanden zu verärgern oder zu verletzen. Und was befähigt mich eigentlich als Autor, die Musik der EAV zu bewerten? Was spielt das für eine Rolle, was ich über ein Album wie das Weihnachtsalbum denke? Eigentlich ist es nur mein eigener Drang, sich zu äußern, der mich dazu bringt. Aber ich bin in einer leichten Position: Es ist nicht mein Job, mein Leben hängt nicht vom Erfolg eines Albums ab. Ich kann leicht schreiben. Und das nur, weil ich es kann und will? Ich bin zum Schluss gekommen, dass ich meine Meinung auch in einem Podcast oder in einem Video gut zum Ausdruck bringen kann. Und da ich hier durch meine Stimme viel besser transportieren kann, wie ich etwas finde und jeder Zuhörer das ebenso viel besser einordnen kann aufgrund seiner Lebenserfahrung, scheint mir das die beste Strategie zu sein. Ich bin zwar in Wort und Schrift viel kreativer und ausdrucksstärker, aber die Tonspur ist klarer und eindeutiger.
So kommt es also, dass ich eine Schere im Kopf habe beim Schreiben. Ich hasse das. Das hindert mich in meinem Tun und führt dazu, dass ich lieber gar nichts schreibe als etwas, was andere verletzen könnte. Diese Website befindet sich also in einer Rezension-Rezession. Kritik ist eben nicht nur entweder konstruktiv oder destruktiv. Kritik ist das, was die Leser daraus machen. Also gilt für mich im Zweifel: Schweigen ist Gold. Ein weißes Blatt Papier kann aussagekräftig genug sein. Der Leser kann dann unbeeinflusst von mir sich selbst seine Meinung bilden.
Autor: Alexander Mayer
Letzte Änderung: 19.06.2022