Rezension: EAV - Werwolf-Attacke (Monsterball ist überall!)
Werwolf-Attacke! Ausrufezeichen! Der Name des neuen Tonträgers der Ersten Allgemeinen Verunsicherung ist ein Statement wie ein Donnerschlag. Heißt das: Obacht, jetzt kommt die Verunsicherung, die Zeit der Mitläufer, Stagnierer, Nicht-Denker und Ego(terror)isten ist vorbei, jetzt wird die Hirn-Offensive gestartet? Oder bedeutet es: Werwolfsgeheule und Monster-Horrorshow included? Oder gibt’s hier gar Fürchterliches zu hören? Blicken wir zur Entstehungsgeschichte des Albums zurück:
Einem Doktor Faust gleich hatte EAV-Chefdenker Thomas Spitzer nun, ach, alle Schüttelreime, Wortspiele und Probleme der Welt studiert. Und das, was blieb, sind Zweifel, ob die Welt der Verunsicherung noch Platz für neue Ideen habe. Und da wäre ja noch so viel mehr zu tun für ein erfülltes Leben! Also zog sich Maestro Spitzer in seine Schreibwerkstatt in der Wahlheimat Kenia zurück, beizte unberührt von kommerziellen Vorgaben und selbstauferlegten Grenzen Songideen und schüttelte Textideen aus den auf Hochtouren laufenden Ganglien. Währenddessen leistete sein kongenialer Frontmann-Partner Klaus Eberhartinger zusammen mit der Band pflichtgemäß seinen Dienst an der Bühnenfront mit einem stattlichen Tourneeprogramm, wenn er nicht gerade als Moderator auftrat.
Nach zweieinhalb Jahren kreativer Grundlagenarbeit, siehe da, waren natürlich auch potentielle EAV-Songs entstanden. Also wagte sich der Mastermind mit einem stattlichen Bündel EAV-Songs wieder in die Welt da draußen und stellte seinem Freund die Gretchenfrage: Klaus, wie hältst Du's mit einem neuen Album und der EAV? Dieser jedoch hob erschöpft das Schild „Pause!“ in die Höhe. Während Klaus Eberhartinger tief ausschnaufte und sich um Ideen für Soloprojekte kümmerte, erwachte wieder Thomas Spitzers Interesse an der strichelnden Kunst, täglich zeichnete er Miniaturen, Skizzen und kleine Comics in seine Skizzenbücher. Schon bald raufte sich das alte Ehepaar aber wieder zusammen und die Arbeiten an dem neuen Album wurden fortgesetzt. „Es ist eben wie in einer langjährigen Ehe“, sinniert der EAV-Frontmann, „Irgendwann musst du etwas tun, um die Beziehung neu zu beleben.“ Heimlich, still und weise schlichen sich in die Skizzenbücher Werwölfe und kleine Monster ein. Wer weiß, vielleicht erschien sogar Mephisto höchstpersönlich aus der Unterwelt in Gestalt eines Wer-Pudels oder Wolfs im Pudelpelz und flüsterte Meister Spitzer ein: „Werwölfe sind es! Monster!“ Und schon war das Albumkonzept geboren, auf dass die Ganglien rotieren und die Assoziationen und Ideen sprießen.
Werwölfe und Monster gibt es wahrlich genug auf der Welt, die Stoff für Songs liefern. Die gewaltige Gitarrenstreubombe im Opener „Werwolf-Attacke“ lässt auf dem Monsterball (dem „Kongress des Bösen“) von Strache über Le Pen bis hin zu Lugner so manches sonderbare Exemplar der aktuellen Zeit auftreten. Die Zocker-Werwölfe der Wallstreets aller Länder, die Staaten „mit Vollgas gegen die Wand fahren“ und dann nochmal von den steuerfinanzierten Hilfskrediten profitieren, bieten dann im Song „Bankrott“ ein naheliegendes Ziel. Es ist ein Song, der das Kunststück schafft, eingängig, gitarrenbetont und voller überraschender Erkenntnisse zu sein („Wie soll Wirtschaft schneller wachsen als ihr eigenes Karzinom?“). Krieg, Geld, Wachstumshörigkeit und gedankenloser Umgang mit der Welt sind Themen, die sich durch das ganze Album ziehen. Dabei könnte die Menschheit etwas dagegen tun, denn „wär die Erde eine Bank, hätten wir sie sterbenskrank längst gerettet frei und frank“ heißt es im resignierten Gitarrenschlaglicht „Zugriff“. Die einen resignieren, die anderen ignorieren.
Letzteren ist das stakkatohafte Wortgewitter „Pfeif drauf“ gewidmet, das sich mit einem unverschämt eingängigen Pfeif-Thema in die Schädel der geneigten Hörerschaft dauerhaft einbrennt wie ein Klingelton im Super-Spar-Abo. Ähnlich eingängig ist der Song „Was ist los?“, welcher textlich mit wenig Inhalt von der faden Tristheit eines 9-to-5-Bürojobs erzählt und vor allem vom Refrain lebt. Das Endzeit-Monster der von Wachstum getriebenen Wirtschaftslokomotive, deren „Schienen auf Sand gebaut“ sind, rattert im Song „Maschine“ von einem dröhnenden Daueralarmrhythmus getrieben in den Untergang. Der von Großmachtsträumen benebelte Mega-Alpha-Wolf Putin und die von ihm gehegten russischen Oligarchen haben ebenfalls geradezu um eine Abrechnung gebettelt. Der Song „Babuschka“ tarnt sich dabei als harmloses russisches Volkslied, garniert mit einem russisch-akzentuierten Text. Diskriminierung und Rassismus ist in Russland ein offensichtliches Problem, doch freilich muss sich jedes Land an das eigene Riechorgan fassen. Mit einem etwas konstruiert wirkenden ungewöhnlichen Kunstgriff thematisiert der für Durchschnittsradiohörer verdaulich produzierte Song „Hunger“ mit kulinarischen Metaphern die Vorurteile, die die europäischen Nachbarn voneinander haben. Man muss aber den Blick gar nicht auf die großen Weltzusammenhänge wenden: Auch der Nachbar von nebenan kann ein einsamer und vergessener Mensch sein, den unsere unsoziale und kalte Gesellschaft zu einem Monster mutieren lässt, das Amok läuft. So eine Geschichte von einem Amokläufer wird in dem eindringlichen wie unheimlichen Song „Der unscheinbare Bua“ erzählt, welcher mit einer sehr klugen Auflösung endet.
Eine der Stärken von Thomas Spitzer, das liebevoll-bösartige Erzählen von ganz und gar menschlichen Geschichten, kommt in diesem Album leider nur noch im comicartigen narrativen Song „Sado Lilly“ zum tragen. Klaus „my rhymes flow“ Eberhartinger rappt dort locker-flockig eine Geschichte, die von einem versehentlichen Besuch bei einer Domina so wortverspielt erzählt, wie es nur Thomas Spitzer kann, verliert sich dann aber in zweiten Teil der Geschichte in den Schilderungen des Sado-Maso-Gewerkes und vergisst die Pointe. Locker-flockig ist auch das im Dixieland-Sound gehaltene „Theater um die Kunst“, das im Stil einer Beerdigung in New Orleans einen herrlich ironischen Abgesang auf die großen Zeiten der EAV macht. Natürlich ist mal wieder (wie immer!) das Internet Schuld: „Macht's ka Theater um die Kunst, im Internet is sowieso alles umsunst und auf Tantiemen wird gebrunzt.“
All die bisher genannten Monster sind nichts gegen das Böse in Trachtenuniform, die „Lederhosen-Zombies“, die Spaßterroristen in Lederhose und Dirndl. „Nur ein Dirndl oder die Lederhose anzuziehen und eine Dauer-Wies’n zu feiern macht unseren Planeten halt nicht gleich zur heilen Welt“, erklärt Eberhartinger. Den „Monsters of Trachtenball“ hat die EAV mit „Lederhosen-Zombies“ eine nette spaßige Hymne gewidmet, die aber leider im Plastiksound ebenso billig daherkommt wie ein neonfarbenes Polyester-Dirndl. Dabei ist dieser Song definitiv die Ausnahme, denn im Studio wurde so viel wie vermutlich noch nie in diesem EAV-Jahrhundert mit echten Instrumenten gearbeitet. Besonders profitieren davon die Balladen, die auf diesem Album einen ungewohnt relevanten Anteil haben. „Noch nie war so viel Gefühl, so viel Persönliches auf einem EAV-Album“ meint dazu Thomas Spitzer. So handelt beispielsweise der gefühlvolle von einem schönen Klavierbett getragene Song „La Loba“ von Ängsten, Verlusten und Vertrauen. Darin verarbeitet der EAV-Mastermind den Tod seiner Mutter. Müde und erschöpft erzählt dann zum Schluss „Der oide Wolf“ vom Ende seiner Tage und sinniert über den Tod. Gesungen wird dieser Song ans Herz gehend intensiv von Thomas Spitzer (welcher auf diesem Album insgesamt sogar drei Songs singt).
„Werwolf-Attacke“ ist das Album der Details: Es werden kluge Erkenntnisse und ungewöhnlich konkrete Fakten in den satirischen Songtexten genannt — von den sichtlich bis in das letzte Detail aufwändig verdichteten Versen ganz zu schweigen. Hier wird aber nicht einfach geschimpft oder ironisch von der Seite belächelt. Es wird aufgeklärt und auf die Gefahren hingewiesen. Die EAV benutzt nicht den berühmt-berüchtigten erhobenen Zeigefinger, wie sie selbst in einem der durchweg urkomischen Zwischenstücke besingt, sondern zeigt beherzt den Mittelfinger — wohl wissend, dass es die Leute gerne lustig haben „in einer Welt, die es nicht gibt“. Das Vergnügen an dem Irrsinn und der Spaß sind aber trotzdem gern gesehene Anteile des Albums. Herz, Hirn und Spaßzentrum werden gleichermaßen aktiviert. Es ist ein gutes, ausgewogenes Album geworden, das klanglich klar und präzise produziert ist.
Und was bedeutet nun der Titel des Albums „Werwolf-Attacke“? Vielleicht meint er einfach nur: Obacht, die Monster übernehmen die Welt, Monsterball ist überall! Bringt deshalb die Werwölfe zum Heulen und lehrt den Monstern das Fürchten! Klaus Eberhartinger und Thomas Spitzer gehen voran und haben sich für diese Mission wieder vereint. Attacke! Ausrufezeichen!
Autor: Alexander Mayer
Letzte Änderung: 09.12.2014