Notizen über die allgemeine Verunsicherung

Vienna

Wien, du bist ein Sanatorium.
Da tanzen die Kranken im Kreißsaal herum.
Der Oberarzt ist ein Geschichtebuch
umgeben von süßlichem Modergeruch.

Und wenn der Patient mit dem Selbstmitleid ringt
vom Stephansturm die Glocke erklingt.
Als Schrittmacher für's gold'ne Wienerherz
im Jugendstilrhytmus friedhofwärts.

Wien, du Wunder der Medizin.
Exotisch und seltsam sind die Theraphien.
Dein Selbstbewusstsein wird stabilisiert,
indem man das Mark der Monarchie injiziert!

Die Kulturheilkunde hat viele Facetten.
Gegen geistige Blähungen gibts Operetten.
Das Opernballgeschwür wird nicht operiert,
sondern einmal jährlich neu inszeniert.

Vienna, Vienna nur du allein.
Jetzt gemma, jetzt gemma ins Altersheim.
Vienna, Vienna nur du allein.
Jetzt gemma ins Altersheim, ins Altersheim!

Der Hausvirus Wiens heisst „Hoffnungslos“.
die Anzahl der Infizierten ist groß.
Den Seelenkrampf dieser Glücksversehrten
löst nur der Wein in den Heurigengärten.

Wien, du Mutter großer Ideen,
liegst im Wochenbett in den Dauerwehen.
Im fruchtbaren Schoß sich die Pläne vermehren.
Es fällt dir schwer, Taten zu gebähren.

Vienna, Vienna nur du allein.
Jetzt gemma, jetzt gemma ins Altersheim.
Vienna, Vienna nur du allein.
Jetzt gemma ins Altersheim, ins Altersheim!

Wien, du bist eine Märchenstadt,
die sich selber verzaubert hat,
die im Dornröschenschlaf ganz vergibt,
dass kein Kronprinz kommt, der dich küsst.

Credits

Text: Thomas Spitzer
Musik: Thomas Spitzer, Gert Steinbäcker
Sänger: Gert Steinbäcker
Produzent: EAV

Siehe auch

Hintergrundinformationen der Publikation: „Café Passé“

Publikationen

Diese Produktion ist auf folgenden Publikationen erschienen: